Spaziergang

Ich gehe an unserer Häuserreihe vorbei auf dem gepflasterten Weg und überquere die gepflasterte Straße, die durch unser gepflastertes Wohngebiet führt. Menschen oder Autos begegnen mir hier fast nie. Durchdringendes Donnern einer Bohrmaschine oder so aus einem der Häuser. Irgendein Nachbar renoviert eigentlich immer irgendwas, meist steht dann kurze Zeit später ein Lieferwagen des regionalen Küchenspezialisten oder Bäderprofis vor dem Haus, kurz danach Sperrmüllberge mit herausgerissenen Küchen-/ Bädereinrichtungen. Alles fast noch neu. Wenn nicht renoviert wird, dröhnt ein Laubbläser vor sich hin oder ein Hochdruckreiniger, um die Pflastersteine bis zur Grundstücksgrenze von Moos oder was auch immer zu befreien. Deswegen ist der kleine Fußweg hier auch längs geteilt in eine hellgraue und eine dunkelgraue Seite. Oder ein Rasenmäher bearbeitet einsam irgendeine Rasenfläche, die ich nicht sehe, die es aber hinter dichten Kirschlorbeer- oder Bambushecken geben muss. Rasenmäher aber eher Freitags. Heute ist Montag, also kein Rasenmäher.

Hinter der nächsten Häuserzeile eröffnet sich eine alte Obstwiese, es wird hell und grün, Steinchen knirschen unter den Füßen, Amseln und andere braune kleine Vögel sitzen auf schwarzen blattlosen Bäumen und spielen Frühling. Sofort setzt bei mir der Reflex ein tief durchzuatmen.

Manchmal kommen mir Best-Ager mit angeleinten Hunden entgegen. Die Hunde sind zu groß für diese Leute. Oder die Leute zu alt. Herrchen oder Frauchen lächelt mich dankbar an, weil ich vorbeigehe und kein Problem mit Hunden habe. Ein Stück weiter, nachdem ich an einem verrosteten Spielplatz unter Kastanienbäumen vorbei komme, schließt sich ein kleines Tal an, eingebettet zwischen einem Weinberg auf der einen und Wald auf der anderen Seite. Immer wieder beglückwünsche ich mich, so nah an diesem weiten Blick zu wohnen. Mildert das Beton-Ghetto-Gefühl.

Der Garten

Schaut man aus unserem Wohnzimmerfenster ist das auffälligste, dass unsere Nachbarn von gegenüber uns genau in Garten und Wohnung schauen, sofern sie aus ihren Fenstern blicken.

Der Garten wirkt herbstverwahrlohst und kinderverlassen. Er wird begrenzt vom Reihenmittelhaus, in dem wir wohnen, den Nachbargrundstücken links – durch eine mannshohe Hecke – und rechts – durch einen schmalen Streifen mit verschiedenen Pflanzen – und einem sterilen bunkerartigen Gartenhäuschen aus graugespritztem Stahl, das vor einem Maschendrahtzaun steht. Neben dem Häuschen ein umgefallener Sack für Grünschnitt, aus dem ein paar lange Zweige mit welken Blättern ragen. In der Mitte des kleinen Stücks mit platt getrampeltem Rasen wartet ein verwaistes Holzpferd auf Beachtung, Kinder haben drei Geschirrtücher darauf gelegt, nun mit Reif bedeckt.

Direkt am Haus eine gepflasterte Terrasse mit ein paar achtlos platzierten Möbeln, einem Grill und einem zusammengebundenen Sonnenschirm. Die Gartenmöbel aus Holz haben bessere Zeiten gesehen, auf einer Bank liegen helle Kissen mit Stockflecken. An der linken Seite der Terrasse stehen ein paar hoffnungslose Kräuter in schäbigen Töpfen und kargen Boden. Rechts von der Terrasse verrenkt sich ein kleiner nackter Baum frierend in die Höhe.

Hinter dem Maschendrahtzaun führt ein schmaler Fußweg vorbei, auf dem man selten einen Menschen sieht. Überquert man ihn, steht man vor der Haustür des gegenüberliegenden Hauses der gegenüberliegenden Reihe. Das ist der Ausblick aus dem Wohnzimmerfenster unseres Hauses.

Öffnet man das Fenster hört man hin und wieder das Quietschen der Mülltonnen-Behälter aus Waschbeton, einen Laubbläser und ein paar Amseln, die in der Hecke wohnen. Mehrere überdimensionierte Katzen, seltsamerweise alle schwarz-weiß oder grau-weiß gefleckt, schleichen lautlos durch die Gärten und Beton-Landschaften unseres Viertels. Hin und wieder hört man Gezanke und Schimpftiraden aus dem angrenzenden Mietshochhaus, alle zwei Wochen dröhnt der Müllwagen durch die engen Sträßchen. Die Straßen in unserem Viertel sind als Spielstraßen ausgewiesen, Kinder hört man jetzt im Herbst nie. Nur kurz gegen 16 Uhr, wenn Schule, Hort und Kindergärten schließen.

Morgens hört man Gebrüll vom Nachbarn rechts. Wenn man jemanden sieht, ruft man sich ein aufgeräumtes Guten Morgen zu. Als wir neu eingezogen waren, hat mich immer wieder das Gefühl beschlichen, in der Trueman-Show gelandet zu sein.

Mittlerweile sehe ich nicht mehr nur die gesichtslosen uniformen Häuser in der Betonwüste, sondern die Menschen, die dort wohnen. Mit einigen hält man ein Schwätzchen, mit anderen wechselt man ein Kopfnicken, anderen wünscht man zu Weihnachten sogar Frohe Feiertage und tauscht Schokoladennikoläuse für die jeweils anderen Kinder.