Erlösung

Der junge Mann im schwarzen Anzug hetzt durch den Wald. Sein Blick der eines gejagten Tiers. Immer wieder dreht er sich suchend um, alle paar Meter tastet er nach einem Gegenstand in seiner Hosentasche.

Er sucht den Treffpunkt und ist sich nicht mehr sicher, wo sie sich verabredet haben. Seine Schritte werden zögernd, unsicher. Er wechselt die Richtung, hält kurz inne und schlägt wieder einen neuen Kurs ein.

Er hat den Ort der Übergabe gefunden. Viel zu früh. Tief und schnell atmet er durch den geöffneten Mund, wie nach einem Dauerlauf. Er geht in kleinen Kreisen umher. Wird das Geld in einer dunklen Sporttasche liegen? Er freut sich über das Klischee. Ihm fällt ein, dass sie nicht über die Stückelung der Scheine gesprochen haben. Wieder kramt er in seiner Hosentasche. Er holt einen USB-Stick hervor, begutachtet ihn und steckt ihn zurück in die Tasche.

Dann können mich alle mal!“, seine Stimme überschlägt sich.

Und dann?-“ Zum ersten Mal kommt ihm diese Frage. Und niemand antwortet.

Er beginnt zu zittern. Suchend tastet er sein Jackett ab. Er sehnt sich nach einem knisternden kleinen Tütchen mit weißem Staub. Nur ein altes Nikotinkaugummi kommt zum Vorschein. Es gelingt ihm fast nicht, den zerbeulten Blister durchzudrücken.

Und wenn er gar kein Journalist ist?“, fragt der Mann den Baum neben sich. Der Baum antwortet nicht, er rauscht sachte mit seinen Blättern, als ginge ihn das alles nichts an.

Dann bin ich am Arsch.“ Der Mann lacht auf, sein Gesicht bleibt ernst. Die Zweige des Baumes nicken langsam im leisen Luftzug.

Er nimmt den USB-Stick aus der Tasche und dreht und wendet ihn mit fahrigen Bewegungen. Seine Nase läuft, er schnieft. Benutzt die Hand zum Abwischen und sieht, dass ihm Blut aus der Nase läuft. Fluchend sucht er in den Anzugtaschen, bis er eine fast leere Packung Taschentücher hervorzieht. Hastig, aber gründlich säubert er die Nase, das fleckige Tuch fällt zu Boden.

Der Mann überlegt. Dann entfernt er sich eilig. Nach ein paar Schritten hält er inne. Sein Körper erschlafft. Er beginnt zu weinen. Trockene Schluchzer rütteln an ihm, mit gebeugtem Kopf steht er da. Verloren. Alleine.

Seine Großmutter nimmt seinen Kopf zwischen ihre warmen Hände, sie streicht mit ihrem trockenen, rauen Daumen über seine Stirn und lächelt ihm zu. Er riecht den Duft nach Küche und Erde und atmet ihren Geruch tief ein.

Sein Blick bleibt an einem großen, mit Moos bewachsenen Baumstumpf hängen. Er setzt sich auf den Stamm. Vornübergebeugt, die Unterarme auf die Oberschenkel gestützt, stiert er geradeaus ins Leere, sein Schluchzen versiegt. Nach einer Weile beginnt er, einen Schuh zu öffnen. Langsam streift er ihn ab, dann den Strumpf. Sein wachsbleicher Fuß kommt zum Vorschein. Vorsichtig setzt der Mann den Fuß auf den Waldboden. Er tastet mit den Zehen das trockene Laub, kleine Ästchen. Ein schwarzer Käfer müht sich mit einer Kugel ab. Der Mann befreit auch den anderen Fuß von Schuh und Strumpf. Sein Atem ist ruhiger. Er setzt sich in den Schneidersitz und schließt die Augen.

Zweige knacken. Unregelmäßig und noch weit entfernt. Das Knacken fügt sich ein in die übrigen Waldgeräusche: das Hämmern eines Spechts, das Gurren einer Taube, das Knarzen von Ästen in den Baumwipfeln.

Die Großmutter beginnt sein Gesicht zu küssen und singt leise, ihren Mund dicht an seinem Ohr, sein liebstes Wiegenlied. Er muss lächeln.

Das schneidende, metallische Geräusch hört er nicht. Als der Schuss fällt, hält der Wald den Atem an. Aber nur für einen Augenblick. Gleich darauf widmet sich der Specht wieder dem Baumstamm. Die Taube, die zappelnd aufgeflattert war, kehrt zur ihrem Nest zurück. Der Mistkäfer hatte seine Arbeit an der Dungkugel gar nicht erst unterbrochen.

Hinterlasse einen Kommentar