Espresso ans Bett

Opa wollte eingeäschert in einer Espressokanne beerdigt werden. Ich war beeindruckt von Opas Konsequenz, Mutti war außer sich. Sie gab sich ihrer Migräne hin und überließ die Sache mir, ihrem Sohn. Ihre Stimme am Telefon klang nach herunter gelassenen Jalousien und ich sah sie vor mir auf dem Sofa liegend, mit fahlem Gesicht. Ich googelte Urne, Espressokanne und clickte Besondere Asche-Urnen an. Unter Maßarbeit wurde ein enthusiastisches Team versprochen, das bestens auf alle Aufgaben im Urnenbereich vorbereitet sei. Ich fand, das hörte sich genau richtig an.

Der graue Mann drückt mir sein Beileid aus. Dabei beugt er den Kopf, lächelt irgendwie tapfer und ich glaube, er ist kurz davor, meine Hände mit seinen zu umschließen. „Wenn Sie mir folgen, im Büro ist es gemütlicher“. Der Bestatter platziert mich auf den schweren Stuhl vor dem Schreibtisch, bevor er sich gegenüber setzt. Gefaltete Hände auf staubfreiem Tisch. Gedeckte Farben an nackten, rauh verputzten Wänden, rücksichtsvolles dunkelgrau mit burgunderrot, ein paar Regale aus dunkelbraunem Holz. Darin Urnen in verschiedenen Größen und Optiken. Ich friere. Vermutlich ist es nicht sinnvoll, im Bestattungshaus zu heizen. Wir sind in der Lage, eigentlich alle Wünsche umzusetzen.“ Er weist auf ein Regal hinter sich. Prospekte in Hochglanzoptik. “Und glauben Sie mir, es gibt unvorstellbare Wünsche von Verstorbenen oder Angehörigen.“ Dazu wieder dieses tapfere Lächeln mit zusammengepressten Lippen. Fehlt nur, dass er zwinkert.Das ist gut,“ sage ich. Ich finde, jetzt hat er ein bisschen Zuspruch verdient. Alleine für dieses Lächeln. Das soll wahrscheinlich aufbauend wirken. Muss ich mir mal merken und bei Gelegenheit anbringen. Vielleicht wenn ich Inka sage, dass sich auf ihrem Laptop leider ein Virus breit gemacht hat, der sich darin bemerkbar macht, dass er Bilder mit nackten Brüsten aufpoppen lässt, sobald der Browser geöffnet wird. Schließt man ein Bild, taucht sofort ein neues auf. Das ist ärgerlich, passierte aber nur, weil ich Fred den Rechner geliehen hatte, als sie bei ihrer Fortbildung war. Fred hat mir geschworen, dass er nicht auf zweifelhaften Seiten war. Mir fällt Opas Hüftgelenk ein. Ich frage mich, was damit passiert. Wird so ein Gelenk wiederverwertet? Gibt man das an Bedürftige weiter? Wie einen abgelegten Mantel? Gibts dafür eine Börse? Ebay-Kleinanzeigen? Muss ich bei Gelegenheit mal nachsehen. Jedenfalls besteht das Ding aus Metall und Keramik, mit einem bisschen Plastik. Da muss man ja auch nachhaltig denken, meine ich.Er möchte verbrannt werden und seine Asche soll in einer Espressokanne aufbewahrt werden. Ich weiß nicht ob das funktioniert, er hat ein künstliches Hüftgelenk.“ Der Mann nickt. „Da darf ich sie beruhigen. Künstliche Gelenke stellen für uns kein Problem dar.“ Aber ob man sie recyclen kann, weiß er auch nicht. Die Sache mit der Espressokanne als Urne kommt mir persönlich ein bisschen übertrieben romantisch vor. Ich bin da eher der nüchterne Typ. Inka gottseidank auch. Sie fänd es sicher total albern, wenn ich ihr jetzt zum Beispiel plötzlich einfach so Blumen mitbringen würde. Glaube ich.

Opa und seine große Jugendliebe hatten sich im hohen Alter wiedergetroffen, als beide frisch verwitwet waren. Auf die Gefühle der jeweiligen Familienmitglieder gepfiffen und sofort Nägel mit Köpfen gemacht. Das nenne ich mal sein Ding durchziehen. Mutti fand andere Worte. „Demenz“ und „Schlampe“ waren die harmloseren. Jeden morgen hatte Opa seiner Liebsten Espresso ans Bett gebracht, den er in so einer kleinen italienischen Kanne zubereitet hatte. Sie verreisten sogar mit der Kanne. Immer wenn ich die beiden besuchte, stand sie zum Trocknen auf der Ablage der Spüle, abends stellte Opa sie neben den Herd, zusammen mit Espressopulver und Messlöffel. Seit ihrem Tod vor einem halben Jahr musste ich die Kanne meistens von eingetrockneten Kaffeeresten befreien, wollte ich uns einen Espresso kochen. Bei meinen letzten Besuchen hatte sich eine Staubschicht auf der Kanne gebildet und er winkte nur noch müde ab, wenn ich ihm einen Kaffee anbot. Ich kann nicht sagen, dass er mir fehlt. Er war schon lange nicht mehr Teil meines Alltags und zum Schluss war er häufig traurig wenn ich ihn besuchte. Aber seinen letzten Wunsch, den soll er haben.

Der Bestatter räuspert sich und hält mir einen schweren Kugelschreiber hin. Ich unterschreibe und gehe. Meine Augen brennen, sicher wegen der kalten Luft. Ich werde sie fragen, ob sie morgens mit Espresso geweckt werden möchte.